Ich bin noch immer überrascht. Und das dumme ist, dass ich niemanden die Schuld dafür in die Schuhe schieben kann. Ich bin im gleichen Alter wie die bekannten Politiker, Firmenbosse, die sogenannten Entscheider. Obwohl einige sind auch jünger. Emmanuel Macron zum Bespiel oder Justin Tribaut – die Präsidenten Frankreichs oder Kanadas. Immerhin Angela Merkel ist älter als ich und auch Teresa May – die beiden sind übrigens fast gleich alt. Für mich war das Alter immer wichtig. Weil meine ersten Chefs natürlich älter waren. Das Alter war für mich so eine Messlatte. Nach dem Motto so viel Zeit hast du noch um nach oben zu kommen. Und plötzlich stelle ich fest, dass ich irgendwie die richtige Abbiegung verpasst habe. Nicht weil ich keine führende Politikerin oder Firmenbossin geworden bin. Aber weil ich mir erst jetzt klar geworden ist, dass es andere geworden sind. Die anderen sind von den wenigen Ausnahmedamen an der Spitze vorwiegend Männer. Selbst in meinem Alter sind es vorwiegend Männer. Und dabei hatte ich alle Chancen. Dachte ich jedenfalls. Ich habe Abitur gemacht. Meine Mutter wollte damals unbedingt, dass ihre Tochter aufs Gymnasium geht. Ihre Eltern ließen sie Mitte der 50er Jahre noch nicht auf eine höhere Schule. Ich habe also Abitur gemacht und dann studiert. Politologie – ich behaupte, dass das kein typisches Frauenfach ist. Nach kurzer Arbeitslosigkeit hatte ich immer gute Jobs. Meine Chefs waren abwechselnd Frauen oder Männer. Mir ist nie da nie eine große Schieflage aufgefallen. Und jetzt lebe ich plötzlich mit einer Realität, von der ich dachte, dass sie schon lange überholt wäre. Männer. Überall. Haben Sie schon mal gezählt wie viele Fotos mit Männern oder Frauen in Ihrer Tageszeitungen sind? Falls Sie noch Papier lesen. Online geht natürlich auch. Machen Sie sich mal die Mühe. Zählen Sie durch. Interessant was? Schauen Sie auch auf die üblichen Werbeankündigungen von Konferenzen. Wie ist das Verhältnis da zwischen Männern und Frauen? Ja, es sind die üblichen 70 zu 30. 70% männliche Referenten, 30% Frauen.  Es ist ziemlich egal wo wir hinschauen: Männer sind immer noch präsenter als wir Frauen. Und machen wir uns nichts vor – Präsenz gleich Einfluss = gleich Geld = gleich Macht. Wenn Sie mir nicht glauben, dann gehen doch mal im Geiste Ihren Freundes- und Bekanntenkreis durch. Familie geht natürlich auch. Aus welchen Gründen auch immer – wer blieb wegen den Kindern bei Ihnen zuhause? Wer arbeitet jetzt in Teilzeit? Wer verdient mehr? In meiner Generation der 50+ sind es die Männer. Auch wenn wir Frauen, dass nicht wirklich wahr haben wollen. Ich frage mich, warum sind Frauen immer noch nicht im gleichberechtigt? Wo ist meine Generation falsch abgebogen? Warum wir es nicht geschafft? Ich bin selbst davon immer noch überrascht.