In der Corona-Krise zeigt sich allzu deutlich, dass ausgerechnet die Berufe systemrelevant sind, die bisher wenig Wertschätzung erhalten haben. Dass diese gleichzeitig schlecht bezahlt und überwiegend von Frauen ausgeübt werden, ist kein Zufall. Statt warmer Worte fordert die Autorin Dr. Regina Frey neben besseren Arbeitsbedingungen auch einer Abkehr von Geschlechterstereotype sowie einer Neuverteilung von Sorgearbeit.

„Es sind die Frauen, die das Land rocken“ titelt der Tagesspiegel.[1] Plötzlich erweisen sich Pflegerinnen und Supermarktkassiererinnen als systemrelevant. Die Kanzlerin bedankt sich ganz ausdrücklich bei diesen Beschäftigten, die jetzt das Überleben sichern. Wer sich schon länger mit Geschlechterfragen befasst, ist weniger überrascht: Die feministische Ökonomie analysiert seit Jahrzehnten die gesellschaftliche Bedeutung dieser oft unsichtbaren und nicht bzw. unterbezahlten Arbeit, die sogenannte Sorge- oder „Care“-Arbeit. Das Gutachten zum Zweiten Gleichstellungsbericht der Bundesregierung (2017).[2] trägt dies im Titel: „Erwerbs- und Sorgearbeit gemeinsam neu gestalten“.

Politikempfehlung: Bessere Arbeitsbedingungen und angemessene Bezahlung

Die Forderungen zur Aufwertung dieser vor allem von Frauen geleisteten Arbeit stehen also schon lange im Raum und die Politikempfehlungen dazu liegen allesamt auf dem Tisch: bessere Arbeitsbedingungen und eine angemessene Bezahlung. Die hierzulande vorherrschende Trennung des Arbeitsmarktes in typische „Frauenberufe“ und „Männerberufe“ hat historische Gründe und beruht auf Geschlechterstereotypen. Frauen werden pauschal als kompetenter für die Arbeit mit Menschen gehalten, während Männern ein besseres Verständnis von Technik und den Umgang mit Maschinen zugeschrieben wird. Dass die Entlohnungs- und Aufstiegsstrukturen in diesem vergeschlechtlichten Arbeitsmarkt für Frauen im Schnitt schlechter sind, ist inzwischen gut belegt und bekannt. Das Gesundheitspersonal (5,7 Millionen Beschäftigte) sind zu über Dreiviertel Frauen.[3] , viele von ihnen haben eine Migrationsgeschichte. Sie sichern das Überleben unter hohen Belastungen und nun auch noch mit dem ständigen Risiko, sich selbst zu infizieren.
Auch im Einzelhandel beträgt der Frauenanteil knapp 70 Prozent.[4] Die Kassiererin, die unsere Versorgung sicherstellt, ist plötzlich auch systemrelevant. Wenn jetzt die Rufe nach mehr Anerkennung dieser Berufsgruppen laut werden und Bundeskanzlerin Angela Merkel ihnen explizit dankt, ist das schön. Noch besser wäre es gewesen, bereits vor dem Ausbruch von Corona gute Arbeitsbedingungen zu schaffen, um das Gesundheitssystem und den Einzelhandel auf eine stabilere Personalbasis zu stellen. Das geht nur mit einer besseren Bezahlung und guten Arbeitsbedingungen für die Beschäftigten.

Schon vor Corona betraf die „Care“-Krise nicht nur die bezahlte Sorgearbeit. Auch schon vor dem Virus waren diejenigen überlastet und gestresst, die sich unbezahlt um Kinder, Alte und Kranke kümmern, auch auf Kosten ihrer eigenen finanziellen Absicherung.

Verteilt sich die Sorgearbeit neu oder öffnet sich der Care Gap noch weiter?

Diese Care-Arbeit wurde bereits vor der Schließung von Kitas und Schulen zum größten Teil von Frauen getragen: sie leisten im Schnitt eineinhalbmal mehr unbezahlte Sorgearbeit als Männer, der „Gender Care Gap“.[5] Diese Arbeit verteilt sich jetzt neu und es wird sich zeigen, ob sich Männer verstärkt in die Hausarbeit einbringen oder sich der Care Gap noch weiter öffnet. Besonders hart trifft der Wegfall der Betreuung Alleinerziehende. 90 Prozent der 692.000 erwerbstätigen Alleinerziehenden mit Kindern unter 13 Jahren sind Frauen.[6] Sie müssen mit der Schließung der Betreuungseinrichtungen nun irgendwie zurechtkommen. Der Verband alleinerziehende Mütter und Väter (VAMV) hat deswegen eine Petition gestartet, die Notfallbetreuung für die Kinder von Alleinerziehenden zu öffnen – unabhängig davon, ob sie als „systemrelevant“ erachtet werden.[7]

Die entscheidende Frage ist wer oder was nach Corona weiterhin systemrelevant ist.

Wer in diesen Zeiten Home-Office machen kann, hat Glück. Aber: Home-Office und gleichzeitig Kinder zu betreuen, hat noch nie funktioniert. So schreibt Barbara Vorsamer in der Süddeutschen Zeitung in ihren Sechs Tipps für die Schule zuhause.[8] : „Der ultimative Tipp, wie man Berufstätigkeit, Kinderbetreuung und Schulunterricht als Mutter oder Vater in einer Dreizimmerwohnung wuppt, steht hier nicht. Weil es nicht geht.“ Überlastung und Konflikte sind dort vorprogrammiert, wo Betreuung neu geplant werden muss (und zwar ohne die Großeltern), Beschränkungen der Sozialkontakte und der Mobilität bringen Stress und Spannungen im Zusammenleben, vor allem in Familien. Was vielen nicht bewusst ist: Die eigenen vier Wände sind für Frauen einer der gefährlichsten Orte im Leben, das zeigen die Studien zu Partnerschaftsgewalt des BKA.[9] Gewalt gegen Frauen bedeutet nicht nur vermeidbares Leid, sondern kostet die gesamte Gesellschaft auch viel Geld.[10] , die chronische Unterfinanzierung des Gesundheits- und Pflegesektors forderte schon vor der Pandemie Opfer und die schlechte Bezahlung der Care-Arbeit führt bereits heute zu Altersarmut insbesondere von Frauen.[11]

Die entscheidende Frage wird sein, wer oder was nach der Corona-Krise weiterhin „systemrelevant“ sein wird und ob sich der nun angeschärfte Blick auf die Care-Arbeit und die Geschlechterverhältnisse Geltung verschaffen kann. Sprich: ob wir in der Lage sein werden, aus dieser Katastrophe zu lernen.

Quellen:

[1]https://m.tagesspiegel.de/politik/umgang-mit-der-coronavirus-krise-es-sind-die-frauen-die-das-land-rocken/25661322.html#layer

[2] Sachverständigengutachten: https://www.gleichstellungsbericht.de/gutachten2gleichstellungsbericht.pdf, Bundestagsdrucksache 18/12840 vom 21.06.2017:https://www.bmfsfj.de/blob/117916/7a2f8ecf6cbe805cc80edf7c4309b2bc/zweiter-gleichstellungsbericht-data.pdf

[3] https://www.destatis.de/DE/Themen/Gesellschaft-Umwelt/Gesundheit/Gesundheitspersonal/_inhalt.html

[4] https://www.iwkoeln.de/fileadmin/publikationen/2016/290006/IW-Gutachten_Schaefer_Schmidt_Beschaeftigung_im_Einzelhandel.pdf

[5]  https://www.bmfsfj.de/blob/117916/7a2f8ecf6cbe805cc80edf7c4309b2bc/zweiter-gleichstellungsbericht-data.pdf, S. 95.

[6] https://www.destatis.de/DE/Presse/Pressemitteilungen/2020/03/PD20_N012_122.html

[7] https://weact.campact.de/petitions/berufstatige-alleinerziehende-in-der-corona-krise-nicht-vergessen

[8] https://www.sueddeutsche.de/panorama/coronavirus-schule-eltern-erziehung1.4848907!amp?__twitter_impression=true

[9]https://cutt.ly/XtUMpUK

[10] https://eige.europa.eu/gender-based-violence/estimating-costs-in-european-union 18

[11] https://www.bmfsfj.de/blob/117916/7a2f8ecf6cbe805cc80edf7c4309b2bc/zweiter-gleichstellungsbericht-data.pdf, S. 189ff.

Der Text ist die Kurzfassung eines Arbeitspapiers von Dr. Regina Frey vom 20. Marz 2020. Die Langfassung ist abrufbar auf der Website www.gender.de

Foto: Martijn Baudoin