Die Gesellschaft steht zurzeit vor enormen Herausforderungen – insbesondere aus feministischer Perspektive. So trifft die Pandemie Frauen sowohl weltweit als auch hierzulande besonders hart: als Pflegekräfte, in der Bildung, im Einzelhandel, aber auch in den heimischen vier Wänden, denn die Mehrfachbelastung aus Homeoffice, Carearbeit und Kinderbetreuung bleibt in Heterobeziehungen größtenteils an Frauen hängen. Damit werden in der Krise nicht nur alte Rollenbilder verfestigt, auch das erhöhte Armutsrisiko von Frauen verschärft sich.

Bereits in krisenfreien Zeiten gibt es in Bezug auf die finanzielle Sicherheit eine große Diskrepanz zwischen den Geschlechtern. So haben beispielsweise nur 10% der Frauen (aber 42% der Männer) zwischen 30 und 50 Jahren ein eigenes Nettoeinkommen von über 2.000 € monatlich. Knapp vier Fünftel der berufstätigen Frauen (79%) wären mit ihrem aktuellen Verdienst nicht in der Lage, langfristig für sich und ein Kind zu sorgen.

Welche strukturellen Probleme hinter diesem Ungleichgewicht stecken, erklärt Laura Rauschnick. Sie ist Leiterin des DGB-Projekts „Was verdient die Frau? Wirtschaftliche Unabhängigkeit.“ Und verfolgt zusammen mit ihrem Team das Ziel, insbesondere junge Frauen zu empowern und für finanzielle Themen zu sensibilisieren. Das Angebot des Projekts umfasst neben Workshops auch kostenlose Webinare.

Juliane Rump: Laura, was eine echte Gleichberechtigung betrifft, liegt vieles im Argen. Warum konzentriert ihr euch mit dem Projekt „Was verdient die Frau? Wirtschaftliche Unabhängigkeit.“ insbesondere auf den finanziellen Aspekt?

Laura Rauschnick: Frauen geraten nach wie vor häufig in finanzielle Abhängigkeit, obwohl sie insgesamt mehr arbeiten als Männer. Aktuelle Zahlen des Bundesfamilienministeriums zeigen: Mütter arbeiten im Wochendurchschnitt täglich 14,5 Stunden, Väter 11,7 Stunden. Das Problem: Ein Großteil dieser Arbeit ist unbezahlt. Mütter in (Hetero-)Paarhaushalten mit minderjährigen Kindern leisten im Durchschnitt täglich elf Stunden unbezahlte Arbeit (Kinderbetreuung, Versorgung von Pflegebedürftigen, Hausarbeit, Besorgungen und Reparaturen), während es bei den Vätern nur 5,3 Stunden sind. Bei der Bezahlung sieht es bekanntlich nicht besser aus. Daran muss sich etwas ändern! Und dafür setzen wir uns mit unserem Projekt ein.

JR: Gerade in der aktuellen Situation, der Corona Krise, also in Zeiten von Homeoffice, Kitakind-Betreuung und Homeschooling wird deutlich, wie viele Paare noch in alten Rollenmustern stecken oder in Krisensituationen in sie zurückfallen. Warum ist das so und welche Gefahren bringt dies für Frauen mit sich?

LR: Ja, leider ist aktuell zu beobachten, dass sich traditionelle Rollenbilder noch mehr verfestigen. Denn häufig sind es die Frauen, die jetzt zu Hause die Kinder betreuen und dafür ihre Arbeitszeit reduzieren. Das ist natürlich mit finanziellen Einbußen verbunden. Gefährlich daran ist, dass sich das nicht nur auf die aktuelle finanzielle Lage auswirkt und Frauen wirtschaftlich abhängig macht, sondern auch langfristig Auswirkungen, zum Beispiel auf die Rente, haben kann. Denn wer nicht oder weniger arbeitet, zahlt auch nicht in die Rentenkasse ein.

JR: In dieser Krise wird auch besonders deutlich, dass Berufe, die überwiegend von Frauen ausgeübt werden – wie bspw. im Einzelhandel und in der Pflege – schlecht bezahlt sind. Warum ist das so, welche Stereotype stecken evtl. dahinter?

LR: Dieses Phänomen, die vertikale Segregation des Arbeitsmarkts, ist historisch gewachsen und trägt ebenfalls zur großen Entgeltlücke zwischen Frauen und Männern bei. Obwohl die Tätigkeiten, was die Arbeitsanforderungen angeht, oftmals vergleichbar sind, werden Berufe mit hohem Frauenanteil schlechter bewertet. Verantwortlich dafür sind Stereotype wie „der Mann als Familienernährer“, dessen Gehalt ausreichen muss, um eine Familie durchzubringen oder Stereotype, die die physischen Anforderungen in Berufen wie Pflege und Einzelhandel niedriger einstufen. In der Realität sind die physischen und oftmals auch psychischen Belastungen extrem hoch, wie auch aktuell nochmal deutlich wird. Umso alarmierender ist, dass gerade Frauen in vielen systemrelevanten Branchen es sich nicht leisten können, für sich finanziell vorzusorgen.

Trotz aller Belastungen und Gefährdungen eröffnet dieser Ausnahmezustand aber auch Perspektiven, die bisher kaum im Fokus der Öffentlichkeit standen: die schlechten Arbeitsbedingungen in frauendominierten Berufen und die häusliche Arbeitsteilung in den Familien. Beide Themen rücken derzeit auf der Agenda weiter nach oben. Daher werden wir als Projekt und auch der DGB, genau wie schon vor der Krise, dafür kämpfen, dass frauendominierte Berufe endlich aufgewertet werden. Außerdem ergibt sich die Möglichkeit, die hohe Belastung durch Familienarbeit sichtbar zu machen und für eine faire Arbeitsteilung zu werben.

JR:  Noch immer wird vorausgesetzt, dass Care-Arbeit und Kinderbetreuung – die nachweislich überwiegend von Frauen geleistet wird – unbezahlt nebenherläuft. Eine Doppelbelastung, die mit echter Gleichberechtigung nicht zusammenpasst. Was muss passieren, um dieses Ungleichgewicht aufzulösen?

LR: Zunächst brauchen wir ein Umdenken, was stereotype Rollenverteilung angeht. Dafür gilt es, Frauen und Männer gleichermaßen mit ins Boot zu holen. Denn am Ende profitieren ja alle davon. Aber mindestens genauso wichtig ist es, die entsprechenden strukturellen Rahmenbedingungen dafür zu schaffen. Ohne eine bedarfsgerechte Kinderbetreuung und entsprechende Arbeitszeitmodelle können wir die Erwerbs- und Sorgearbeit nicht umverteilen. Denn der Hauptgrund für die meisten in Teilzeit tätigen Frauen ist Vereinbarkeit.

Laura (Mitte) und ihre beiden Mitstreiterinnen Katja (links) und Cathrine.

Interview: Juliane Rump
Dieses Interview ist erstmals erschienen auf LIBERTINE