Ein Blick auf die Szene mit der Jazz-Schlagzeugerin Lucía Martínez

In seinen Anfängen hatte Jazz den Stellenwert einer Art Befreiungsmusik. Er war der
Soundtrack im Kampf um freiheitliche Rechte. Und auch als Musikform ist Jazz frei
angelegt: Improvisation, stilistische Individualität und spontane Interaktion sind
elementare Bestandteile des Genres. Doch wie ergeht es den Frauen in der
Jazzwelt? Wie frei und gleichberechtigt können sie dort heute ihren Weg gehen?

Lucía Martínez ist bereits seit ihren Studienjahren in Spanien in der internationalen
Jazzszene als Musikerin unterwegs. Dass sie dort als Schlagzeugerin zumeist allein auf
weiter Flur steht, war dabei lange kein Thema für sie. Mit drei älteren Brüdern im
galizischen Vigo aufgewachsen, schien die Situation vertraut, sich als junge Frau unter
Männern zu behaupten. Musikalische Erfolge bestätigten sie darin: Bereits Martinez’
Debüt-Album „Soños e Delirios“ war als bestes Jazz-Album des Jahres 2009 in Spanien
nominiert und kam in die engste Auswahl der Finalisten. Mehrere Alben folgten sowie
weltweite Auftritte auf Festivals und in unterschiedlichen Jazz-Formationen und Projekten.
Ihr feiner Stil ist dabei längst zum Markenzeichen der heute in Berlin und Sevilla lebenden
Künstlerin geworden.
Dass dieser oft ihrer Weiblichkeit zugeschrieben wird, stößt bei Martínez auf
Unverständnis. Sie ist davon überzeugt, dass jeder mit ebendiesem Hintergrund so
spielen würde, egal ob Mann oder Frau. Ähnlich ergeht es ihr, wenn ihr Spiel auf
Erstaunen – weil weiblich – trifft oder sie sich erklären muss: „Ich möchte über meine neue
Platte und anstehende Projekte sprechen. Nicht darüber, warum ich als Frau hinter dem
Schlagzeug sitze und ob die Art wie ich spiele, Ausdruck meiner Weiblichkeit ist.“
Doch genau das scheint symptomatisch für eine Branche, die immer noch als
Männerdomäne gilt: Trotz berühmter Ikonen wie Ella Fitzgerald oder Billie Holiday sind
Frauen in ihrer Rolle als Musikerinnen nach wie vor keine Selbstverständlichkeit.
Beim Blick auf die 2016 erstmals durchgeführte und bislang einzige Studie zur Lebensund
Arbeitssituation professioneller Jazzmusikerinnen und Jazzmusiker in Deutschland
(www.jazzstudie2016.de) verwundert das nicht. Die Befragung von über 2.000 Personen
zeigt auf, dass Frauen nur ein Fünftel der Berufsgruppe in Deutschland ausmachen. Bei
der weiteren Aufschlüsselung wird deutlich, dass davon wiederum nur 12%
Instrumentalistinnen sind. Jazz-Sängerinnen machen hingegen 86% aus.
Das liegt nicht zuletzt daran, dass die im Jazz viel gespielten Instrumente wie Trompeten,
Saxofone und insbesondere Schlagzeuge allsamt mit dem männlichen Geschlecht
assoziiert werden, während das Klischee der Jazzsängerin weitherhin als exklusives Sujet
für Frauen im Jazz dient. Ein Dilemma, denn neben einer offenen Erziehung und
Umgebung fehlen Jazzinstrumentalistinnen oft Identifikationsfiguren.
Doch nicht nur Rollenbilder und -zuschreibungen erschweren den Schritt in das Genre.
Institutionelle Ungleichbehandlung führte beispielsweise zu vier öffentlichrechtlichen
Rundfunk-Big-Bands mit insgesamt nur zwei Frauen. Ein Missstand, der Ende des
vergangenen Jahres die UDJ (Union Deutscher Jazzmusiker) auf den Plan rief, eine
„Gemeinsame Erklärung zur Gleichstellung von Frauen im Jazz“ (http://www.deutschejazzunion.
de/ziele/gleichstellung/) zu verabschieden. Gefordert wird darin u.a. die gerechte
Verteilung von Funktionen und Ämtern, eine geschlechts-ausgeglichene Pädagogik sowie
eine genderneutrale Sprache. Dass sich dieses Anliegen noch in der eigenen
Namensgebung niederschlägt, bleibt zu hoffen.
Lucía Martínez spricht sich darüber hinaus für spezifisch auf Jazz ausgerichtete
Förderinstrumentarien wie Quoten und Zuschüsse, etwa für die ersten beiden Jahre nach
der Geburt eines Kindes, aus. Sie selbst musste erleben, wie Konzertreisen, die sie zuvor
alleine unternommen hatte, plötzlich mehrfache Reisekosten bedeuteten, da sie mit Kind
und Begleitung reisen musste. Veranstalter sind nur selten bereit, diesen Mehraufwand zu
übernehmen, was gerade in Verbindung mit einem weiteren Problempunkt – der massiven
Unterbezahlung in der Branche – zum existenziellen Problem für Jazz-Musikerinnen
werden kann.
Martínez machte dennoch unbeirrt weiter. Wenn sie in diesen Tagen als erste Frau in
Spanien eine Professur für Jazz-Schlagzeug am Conservatorio Superior de Música de
Sevilla antritt, ist das nicht nur eine erneute Bestätigung ihres Talents und Pioniergeistes.
Vielmehr sieht sie darin auch die Chance, andere Frauen zu ermutigen, diesen Weg zu
gehen und sich gemeinsam auf das Motiv der Anfangszeit zu besinnen: Befreiung und
gleiche Rechte.
Dr. Lucia Schöllhuber