Jens van Tricht bricht in seinem neuen Buch eine Lanze für den Feminismus und erklärt, wie dieser das Leben aller besser machen kann.

Auch Männer leiden unter dem Patriarchat. Haben doch damit einhergehende Mechanismen der Dominanz und Unterdrückung eine Ungleichheit hervorgebracht, die den Großteil der Menschen zu Verlierern macht. Dennoch orientieren sich die meisten Männer immer noch an überkommenen Vorstellungen von Männlichkeit. Diese toxischen Männlichkeitsbegriffe hat Jens van Tricht in seinem Buch analysiert, das er am 12.11. im Gunda-Werner-Institut in Berlin vorgestellt hat.

Das erfreulichste Statement des Abends bedurfte keiner Worte: Der Vortragssaal war bis auf den letzten Platz besetzt, zur Hälfte von Männern. Sie sind es auch, an die sich die Botschaft von Jens van Tricht, der sich seit 25 Jahren mit dem Thema Männlichkeit beschäftigt, richtet. Repräsentativ ist dieses Bild keineswegs. Außerhalb der Blase ist es meist ein schwieriges Unterfangen, die männliche Aufmerksamkeit zu erreichen. Egal, ob es um Feminismus, Emanzipation, Gender, Fürsorge oder sonst einen Begriff geht, der implizit oder explizit auf Frauen oder Weiblichkeit, kurz: auf etwas „Unmännliches“ zu verweisen scheint – Männer wollen damit meist nichts zu tun haben.

Ein Glücksfall, dass das bei Jens van Tricht anders war. Den Feminismus hat er in seiner Zeit als Hausbesetzer im Amsterdam der 1980er-Jahre kennengelernt, schließlich Frauen- und Geschlechterwissenschaften studiert und dabei zunehmend Ambitionen entwickelt, seine Geschlechtsgenossen frei nach dem viel zitierten Claim dieser Zeit „Ein ganzer Mann ist nur ein halber Mensch“ auf ihre weibliche Seite aufmerksam zu machen. Mancher Freund blieb dabei auf der Strecke, Jens van Trichts Werdung zum Feministen tat das keinen Abbruch. Vielmehr verstärkte sich sein Engagement: Er gründete die Organisation Emancipator und begann als Koordinator der weltweiten MenEngage Alliance aktiv zu werden.

Männer und Frauen sind an erster Stelle Menschen

Das Potenzial, das der Feminismus auch für Männer in sich birgt, hat er schnell umrissen: „Was Männer und Frauen betrifft, haben wir gelernt in Dichotomien zu denken, statt zu sehen, dass es ein Kontinuum ist.“ Männlichkeit und Weiblichkeit seien keine natürlichen Gegenpole, als vielmehr Kategorien, die wir zur Benennung naturgegebener menschlicher Eigenschaften verwenden. Einen absoluten Unterschied gibt es dort nicht, vielmehr sehen wir ein durchgehendes Ganzes und somit auch eine durchschnittliche Differenz. Das Dilemma ist, dass für die komplexen Beziehungen zwischen den Geschlechtern einfache Erklärungen hoch im Kurs stehen. Van Tricht möchte daher die Gegenfrage stellen, die auch bildlich aus den Grafiken zu typisch männlich oder weiblich bezeichneten Attributen spricht, die er im Vortrag an die Wand projiziert: Warum ist der Unterschied zwischen Männern untereinander und Frauen untereinander größer als der zwischen den Kategorien Mann und Frau? Schlussfolgerung lässt das nur eine zu: Weder Gene, Hormone noch Gehirn sind imstande, eine solche Differenz zwischen den Geschlechtern herzustellen, wie man uns oft weismachen möchte. Männer und Frauen sind an erster Stelle Menschen, mit all den damit verbundenen Variationsmöglichkeiten.

In Folge sollte es darum gehen, zu erkennen, dass Männer wie Frauen menschliche Qualitäten in sich tragen und diese Qualitäten auch gleich bewertet werden müssen anstelle der Perpetuierung von Stereotypen. Die Crux: Diese Stereotypen wurden im Laufe der Zeit so stark bedient, dass für viele heute eine ausbalancierte Existenz ausgeschlossen scheint. Zumal beweisen diese Stereotypen eine enorme Resistenz.

Gesellschaftliche Strukturen verändern

Tatsächlich wurden bislang wenig Alternativen formuliert. Die von Jens van Tricht lautet: Wenn Männer Teil der Lösung werden wollen, eine bessere Welt für alle zu schaffen, müssen sie ihre menschlichen Qualitäten umarmen und erkennen, dass auch sie z.B. fürsorglich oder passiv sein bzw. zuhören können. Der Feminismus trägt also letztlich zur Verbesserung der Beziehung von Männern zu sich selbst bei, als er die Menschlichkeit in ihnen anerkennt.

Möglichkeiten Schritte in diese Richtung zu tun, gäbe es für die Männer viele: „Indem sie an sich selbst und der Gesellschaft arbeiten, indem sie sowohl persönlich als auch in ihrer gesellschaftlichen Funktion auf Veränderung hinwirken, indem sie die herrschenden Vorstellungen von Männlichkeit und Weiblichkeit hinterfragen und transformieren  und indem sie Frauen helfen, sich von den Weiblichkeitsstereotypen zu lösen und sich frei zu entwickeln; indem sie die Fürsorge für die Kinder übernehmen; indem sie Ungleichheit und Gewalt kritisieren und indem sie ihr Möglichstes tun, gesellschaftliche Strukturen zu verändern.

“Wie das Beispiel Elterngeld zeigt, sind dafür viele Männer bereit, wenn Anreize geschaffen werden. Als es 2007 erstmals als Lohnersatzleistung eingeführt wurde, dauerte es keine zwei Jahre, da lag die Zahl der Väter, die Elterngeld in Anspruch nahmen, bereits bei über 20 Prozent und ist nach wie vor im Steigen begriffen. Mittlerweile nimmt weit über ein Drittel der Väter Elterngeld zur Betreuung ihres Kindes in Anspruch: 2017 waren es über 35 Prozent der Väter, 2019 stieg die Zahl nochmals um sieben Prozentpunkte – mehr als doppelt soviel als bei den Frauen.

Jens van Tricht: Warum Feminismus gut für Männer ist. ISBN: 978-3-96289-055-1. Ch. Links Verlag 2019.
Dr. Lucia Schöllhuber