Dass wir mehr Frauen* in der Politik brauchen, ist nicht nur eine Frage der Gerechtigkeit

Mit einer größeren Beteiligung von Beteiligung von Frauen* in der Politik würden sich die Prioritäten verändern und eine ausgeprägtere Darstellung vieler Lebensrealitäten sichergestellt werden, sagt unsere Autorin Marie Bahls. Warum das wichtig ist und an welchen Stellen in unserem Alltag eine weibliche Perspektive essenziell ist, erklärt sie in unserem Blogbeitrag.

Stellen Sie sich vor, Sie sind mit dem Fahrrad morgens zu Ihrer Arbeit unterwegs, der Radweg endet abrupt, und Sie müssen wegen Platzmangels auf die Straße ausweichen. Denn anstelle eines fortführenden Radweges geht es übergangslos auf die vierspurige Straße. Es kann gefährlich werden, wenn man im Berufsverkehr mit 50 km/h als Fahrradfahrer*in mitmischen muss. Eine Problematik, die auch unter dem Gender-Aspekt betrachtet werden kann. Denn zwei Drittel aller Autos werden von Männern gefahren.

Frauen* laufen öfters zu Fuß, erledigen ihren Einkauf mit den öffentlichen Nahverkehrsmitteln oder bringen ihre Kinder mit dem Fahrrad zur Schule. Dem Ausbau von Fuß- und Radwegen wird bis heute politisch gesehen eher weniger Aufmerksamkeit geschenkt. Eine paritätische Vertretung von Frauen* und Männern* in der Politik könnte dies ändern.

Frauen* setzen andere Prioritäten

Um beispielsweise die Priorisierung einer fußgänger- und fahrradfreundlichen Gestaltung des Verkehrsraums auf den Weg zu bringen, bräuchte es mehr Frauen* in der Politik. Die Vereinbarkeit von Familie und (politischer) Tätigkeit müsste wichtiger werden, indem vermehrt Familien- und Gleichstellungspolitik zum Thema gemacht wird. Doch seit der letzten Wahlperiode stagnieren der Frauenanteil im Bundestag. Seit der 19. Wahlperiode beispielsweise lag dieser nur bei 31,4 Prozent (Stand Januar 2021). Vergleichsweise dazu lag er in der Wahlperiode zuvor bei 37,3 Prozent.

Dennoch gilt: Frauen* erleben den Alltag anders, haben andere Erfahrungen und sind dadurch anders sozialisiert als Männer. Mit einer größeren Beteiligung von Frauen* in der Politik würden sich die Prioritäten verändern und eine ausgeprägtere Darstellung vieler Lebensrealitäten sichergestellt werden.

Rollenbilder aufzubrechen, nimmt auch Druck von Männern

Mit Politik aus feministischer Perspektive könnten zudem Stereotypen entgegengewirkt werden. Durch mehr Gleichstellungspolitik würden sich neue Rollen- und Vorbilder etablieren, in dem etwa Männern* der Druck, dem bisher noch bestehenden „typischen“ Rollenbild des erfolgreichen, berufstätigen Mannes gerecht zu werden, genommen wird. Weiterhin stünde auch die paritätische Aufteilung der Care-Arbeit, zum Beispiel der Elternzeit, bei einer 50/50-Vertretung in der Politik schneller auf der Agenda. Davon würden Frauen* und Männer* profitieren und die Altersarmut bei Frauen* verringert werden.

Was ist für die Umsetzung von Gleichstellungspolitik notwendig?

Damit eine Notwendigkeit, wie die Förderung von Fuß- und Radwegen und des öffentlichen Nahverkehrs auf der Tagesordnung steht, müssen sich genügend Frauen* beziehungsweise Vertreter*innen in der Politik zusammenfinden. Es braucht eine Mehrheit von Unterstützer*innen auf jeder Ebene, die ein entsprechender Gesetzesentwurf durchläuft.

Bei der Planung und Gestaltung von Fuß- und Radwegen beispielsweise müssen die entsprechenden Ideen und Gesetzesentwürfe der Politikerinnen im Verkehrs- sowie für die benötigten Gelder der Projekte auch im Finanzministerium Anklang finden und durch eine paritätische Besetzung unterstützt werden. Schlussendlich muss auf Bundestags/-ratsebene eine Partei beziehungsweise eine Koalition vertreten sein, die Gesetze zur Gestaltung und Förderung eines gendergerechten öffentlichen (Verkehrs-)Raumes verabschiedet. Dazu braucht es eine ausreichende Repräsentanz von Frauen* in den Parteien, die eine aktive Förderung von Gleichstellung und kontinuierliche Impulssetzung durch entsprechende Ideen sicherstellen.

Auch würden sich durch eine überwiegende weibliche* Vertretung in den deutschen Ministerien wie dem Finanz- oder Verkehrsministerium Gesetze besser durchsetzen können, die die Gleichstellung in allen gesellschaftlichen Bereichen fördert. Die Gestaltung des öffentlichen Raums also kann durch eine Vielzahl von Entscheidungsträgerinnen in der Politik eher Anklang in den Parlamenten finden.

Es braucht mehr Politikerinnen auf jeder Ebene

Um solche Gesetzesänderungen, Vorgaben und letztlich Projekte umzusetzen, bedarf es auch auf kommunaler und Landesebene eine Mehrzahl von Frauen* in den Landtagen und Verwaltungskörpern. Hier wäre es wichtig, die im Ehrenamt tätigen Kommunal-Politiker*innen mit einer angemessenen Aufwandsentschädigung zu unterstützen. Solche Faktoren können unter anderem eine frauengerechtere Politik beeinflussen, denn ehrenamtliches Engagement in der Politik schreckt noch immer viele Menschen, vor allem Frauen* mit Familie, ab.

Mit ausreichender Aufwandsentschädigung könnten sich mehr Frauen* ihr politisches Engagement leisten und die Chance, Wahllisten paritätisch zu belegen, würde sich erhöhen. So würden wir uns einer repräsentativen Demokratie annähern. Durch eine Mehrzahl von Frauen* in den deutschen Parlamenten würde dann auch die konfrontative politische Kultur gegen pragmatische Entscheidungen und sachliche Lösungen eingetauscht, wie es Katrin Habenschaden, Fraktionsvorsitzende der Grünen, äußerte. „Frauen* sind in Entscheidungsprozessen und in ihrem Führungsstil integrativer. Die Selbstdarstellung und Machtpolitik, die zurzeit im politischen Klima in Deutschland herrscht, würde durch einen feministischen Perspektivwechsel mit einer geordneten Sachpolitik ersetzt.“

Auch Krisen können, wie aktuelle Studien der Universitäten in Reading und Liverpool zeigen, durch weibliche Führungskräfte besser bewältigt werden. Frauen* in der Politik gingen beispielsweise während der Corona-Pandemie entschlossener und wirksamer mit Maßnahmen um, so die Studien. Weitere Gesetzesentwürfe, die die Gleichstellung verbessern und schlussendlich sicherstellen, können auf den Weg gebracht und durchgesetzt werden, wenn Frauen* einen gleichen Teil der politischen Ämter innehaben, wie Männer*.

Von Marie Bahls

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