Der Verein „Frauen aufs Podium“ unterstützt mit seiner Arbeit Frauen auf ihrem persönlichen Weg in die Politik. Ein Gespräch mit Vorständin Bettina Praetorius über weibliche Perspektiven in der Politik, die Arbeit des Vereins und darüber, wie unsere männerdominierte politische Kultur verändert werden kann.

WELCHE HERAUSFORDERUNGEN SEHEN SIE FÜR FRAUEN IN DER POLITIK?

Die Herausforderungen sind vielfältig: Fast alle Parteien ignorieren bis heute, dass die Parteienkultur an dem überholten gesellschaftlichen Modell des männlichen Alleinverdieners orientiert ist. Zum einen ist das Engagement in der Kommunalpolitik ehrenamtlich und erfordert viel Zeit, wenn man etwas erreichen möchte. Für Frauen mit kleineren Kindern oder pflegebedürftigen Angehörigen ist es schwierig, hier Räume für das eigene Engagement zu schaffen oder die langen Sitzungszeiten unterzubekommen. Das gilt auch für das Netzwerken: Viele Absprachen finden informell statt – nach den Sitzungen. Wenn man aber keine Zeit hat, nach der Sitzung noch einen trinken zu gehen, um dort auch mal fraktionsübergreifend Themen zu platzieren oder einem überhaupt nicht bewusst ist, dass man manchmal nicht als Einzelkämpferin oder nur mit der eigenen Fraktion etwas durchsetzen kann, scheitert es daran.

Bild: Fish Bowl-Diskussion in Nördlingen

WIE MÜSSTE SICH DIE POLITISCHE KULTUR VERÄNDERN, UM FÜR FRAUEN OFFENER UND INKLUSIVER ZU SEIN?

Feste Sitzungszeiten und eine professionelle Sitzungsleitung, paritätische Redelisten, bezahlte Kinderbetreuung während den Sitzungen und Ausschussrunden und hybride Teilnahmemöglichkeiten sind elementar für eine inklusivere Kultur. Wirkungsvoll könnten aber auch paritätische Wahllisten, Mentoring-Programme für Neueinsteiger*innen oder Vernetzungsangebote für politisch interessierte Frauen sein. Auch einen transparenteren Einblick in den politischen Alltag halte ich für wichtig. So könnten Personen, die sich politisch aufstellen, in einer Art Workshop lernen, was Kommunalpolitik ist, wie zeitintensiv die Arbeit ist, wie die Entscheidungswege sind oder welche finanziellen Mittel benötigt werden.

WELCHE KONKRETEN POLITISCHEN INITIATIVEN ODER PROGRAMME KÖNNTEN DAZU BEITRAGEN, DIE BETEILIGUNG VON FRAUEN IN DER POLITIK ZU ERHÖHEN?

In erster Linie müssten die Parteien selbst den Willen haben, intern etwas zu verändern. Dazu gehören die Umsetzung und Einforderung der vorher genannten Maßnahmen. Als weiterer Schritt müssten Organisationen zur Stärkung der Demokratie finanziell so gefördert werden, dass Mentoring- und Empowerment-Programme möglich sind. Unser Programm „Bayern – ich misch mich ein: Für mehr Frauen in der Politik“ wäre ohne die Förderung der Nemetschek Stiftung nicht zustande gekommen. Ich bin sehr froh, dass wir dieses Angebot in Bayern realisieren können. Es ist so wichtig, dass Frauen die einmal errungenen Fortschritte in Sachen Gleichberechtigung weiterhin verteidigen und ausbauen.

“Fast alle Parteien ignorieren bis heute, dass die Parteienkultur an dem überholten gesellschaftlichen Modell des männlichen Alleinverdieners orientiert ist.”
– Bettina Praetorius, Vorständin des Vereins “Frauen aufs Podium”

WELCHE VORTEILE BRINGT DIE EINBEZIEHUNG WEIBLICHER PERSPEKTIVEN IN POLITISCHE ENTSCHEIDUNGSPROZESSE MIT SICH?

Bild: Fish Bowl-Diskussion in Wallersdorf

Frauen haben eine andere Lebensrealität als Männer: Sie gehen eher zu Fuß oder fahren eher Fahrrad. Sie kümmern sich eher um Kinder und Angehörige. Sie sorgen sich eher für das Zusammenleben in der Gemeinde durch die Organisation von Festen und Feiern. Sie üben andere Berufe aus als Männer, interessieren sich für andere Sportarten und brauchen andere Rückzugsräume, zum Beispiel als Jugendliche. All das wird jedoch in einem Gemeinderat, der nur von Männern besetzt ist, nicht gesehen. Gerade in der Kommunalpolitik können Frauen ganz nah am Alltag mitbestimmen, wie wir zusammenleben und wofür das Geld ausgegeben wird: Straßenlaternen statt Straßenausbau, Anreize für mehr Pflegekräfte oder eine bessere ärztliche Versorgung.

WIE SETZT SICH DER VEREIN “FRAUEN AUFS PODIUM” KONKRET FÜR MEHR SICHTBARKEIT UND PARTIZIPATION VON FRAUEN IN DER POLITIK EIN?

Seit Bestehen des Vereins setzen wir uns mit praktischen Programmen für die Stärkung von politisch interessierten oder bereits engagierten Frauen ein. Mit Fokus auf der Kommunalpolitik bieten wir Workshops zur Vernetzung und zum fachlichen Austausch mit Gleichgesinnten an. Themen sind zum Beispiel Rhetorik- und Präsenztraining, Argumentationstraining, Redenschreiben und Vortragen, Umgang mit Sexismus und Angriffen im Netz oder die Auseinandersetzung mit Macht. Wir führen Mentoring-Programme durch, bei denen es selbstverständlich auch Männer als Mentoren gibt und laden zu digitalen Abenden ein, bei denen zum Beispiel über gendergerechte Verkehrsplanung oder Sexismus im Sport gesprochen wird.

“Es ist so wichtig, dass Frauen die einmal errungenen Fortschritte in Sachen Gleichberechtigung weiterhin verteidigen und ausbauen.”
– Bettina Praetorius

WIE KÖNNEN SICH MENSCHEN, DIE SICH FÜR DIE ARBEIT IHRES VEREINS INTERESSIEREN, ENGAGIEREN ODER SIE UNTERSTÜTZEN?

Wir wünschen uns sehr, dass Frauen unser Angebot wahrnehmen und aktiv werden. Aktuell heißt das: sich jetzt bei der Empowerment-Reihe in Nördlingen oder in Wallersdorf anmelden und viele tolle Frauen kennenlernen, die sich ebenfalls ein politisches Engagement vorstellen können. Es kann Spaß machen, selbst darüber zu entscheiden, wie es in der eigenen Gemeinde aussehen soll. Wer nicht in Bayern wohnt, kann „Frauen aufs Podium“ sehr gerne mit einer Spende unterstützen. Jede Spende hilft der Chancengleichheit ein Stück näher zu kommen!

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2024-02-12T17:07:03+01:00

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