Neues Konzept Alte Muster: Frauen in Pflegeberufen sind auch im Bundesfreiwilligendienst die Regel

Seit 2011 ist der Bundesfreiwilligendienst der Ersatz für den Wehr- und Zivildienst. Neben Einsatzstellen in Kindergärten, Grundschulen, Altersheimen und im Hort gibt es z. B. auch Möglichkeiten, beim Technischen Hilfswerk, der freiwilligen Feuerwehr oder bei NGOs wie dem BUND, abgeordnetenwatch und auch Frauen aufs Podium tätig zu werden.

Ich bin Hannah Winkler und seit Oktober 2021 die Bundesfreiwillige von Frauen aufs Podium. Von meinen Freundinnen haben sich viele ebenfalls entschieden, nach dem Abitur einen Bundesfreiwilligendienst zu machen. Die meisten dieser jungen Abiturientinnen leisten ihren Dienst in einem Kindergarten. Für alle jungen Männer in meinem Umfeld kam das auf keinen Fall infrage. Die Wenigen, die sich für einen Bundesfreiwilligendienst entschieden haben, bevorzugten das THW als Einsatzstelle. Allerhöchstens wurde sich mal durchgerungen, in einer Schule oder in einem Hort zu arbeiten. Dann aber, natürlich ganz wichtig zu betonen, nicht aus Interesse an der Arbeit mit Kindern, sondern als Übergang, bevor MANN ein Studium oder eine Ausbildung beginnt.

Viele Stellen, wenig Interesse an politischer Arbeit

Auf meiner Seminarfahrt, die im Zuge des Bundesfreiwilligendienstes stattfand, war der Frauenanteil sehr hoch. Ich würde ihn auf ca. 75 Prozent schätzen. Aus dieser Gruppe mit ungefähr 60 Bundesfreiwilligen war ich die einzige, die im politischen Bereich arbeitet. Von all den Teilnehmerinnen habe ich nur zwei kennengelernt, die nicht im erzieherischen Bereich tätig sind.

Rein faktisch ist es so, dass die meisten Bundesfreiwilligenstellen auch im Bereich Pflege angeboten werden. Sucht man zum Beispiel auf der Seite www.bundesfreiwilligendienst.de nach „Pflege“ Einsatzstellen in ganz Deutschland, bekommt man 108 Seiten mit jeweils zirka 25 Vorschlägen. Sucht man hingegen nach „Politik“, findet man drei Seiten à 25 Vorschläge. Nach meinem oben geschilderten Eindruck müssten dementsprechend auch mehr Frauen als Männer überhaupt einen Bundesfreiwilligendienst machen. Und tatsächlich gibt es laut Bundesamt für Familie und zivilgesellschaftliche Aufgaben (BafzA) im November 2021 genau 22.952 weibliche und 15.825 männliche Bundesfreiwillige.

Interview mit einer Erzieherin:

Nachdem ich nun meine Vermutung auch mit Statistiken bestigen konnte, möchte ich mit jemandem sprechen, den das Thema betrifft. Ich führe ein kleines Interview mit einer Freundin, die als Freiwillige im Kindergarten arbeitet:

Warum hast du dich für einen Bundesfreiwilligendienst im Kindergarten entschieden?

Ich wollte nach dem Abitur unbedingt was Soziales machen. Dafür war mir wichtig, Menschen zu helfen oder zu unterstützen. Dementsprechend hätte ich meinen Dienst auch gerne in einem Altenheim oder einem Behindertenheim absolviert.

Jetzt bin ich sehr froh, dass ich in einer Kita meinen Dienst mache. Es macht mir wirklich großen Spaß, mit Kindern zu arbeiten. Ich finde es schön, dass man den Werdegang bzw. die Entwicklung des Kindes beobachten kann und auch aktiv zu der Entwicklung beiträgt.

Warum, glaubst du, gibt es so wenige Männer, aber so viele Frauen in dem Beruf?

Ich glaube, der Beruf Erzieher*in ist immer noch sehr als Frauensache stigmatisiert. Es gibt viele Männer die, provokativ formuliert, nicht über ihr männliches Ego springen können, und nicht in einem Beruf arbeiten wollen, für den sie eventuell verurteilt werden. Die Lust, sich sozial zu engagieren, scheint bei Männern generell geringer zu sein. Ich sehe da den Ursprung in der Erziehung. Grundsätzlich finde ich die Frage aber sehr kompliziert zu beantworten.

Erfährst du mit deiner Bufdi-Wahl Vorurteile? Erfahren männliche Kollegen Vorurteile?

Ich persönlich habe keine Vorteile erfahren. Ich glaube aber, dass einige sich denken, dass „auf Kinder aufpassen“ keine richtige Arbeit sei. Schlimm würde ich als Vorurteil finden, wenn mir jemand abspricht, als Erzieherin eine emanzipierte und feministische Frau zu sein.

Gegenüber meinen männlichen Kollegen, habe ich auch nicht mitbekommen, dass ihnen mit Vorurteilen begegnet wurde. Ich kann mir aber trotzdem vorstellen, dass es Kreise gibt, die sich darüber lustig machen. Bei uns ist der Kita ist es jedenfalls so, dass alle Kinder die männlichen Erzieher sehr lieben. Sie werden fast schon vergöttert. Das heißt: Männer, traut euch! Es wird sich lohnen!

Hast du auch erwogen, deinen Bufdi im Bereich Gesellschaft und Politik zu absolvieren?

Nein, dass kam für mich nicht infrage. Für mich stand beim Bundesfreiwilligendienst ganz klar im Vordergrund, mich direkt sozial zu engagieren.

Für mich ist ganz klar:

Sich als Frau für einen Bundesfreiwilligendienst bzw. einen Beruf in der Pflege, ganz spezifisch in der Kinderbetreuung und Erziehung, zu entscheiden, hat nichts mit fehlender Emanzipation zu tun. Frauen, die zum Beispiel in der Politik/Technik/Medizin fehlen, fehlen nicht, weil sie stattdessen Erzieherin werden. Aber vielen Frauen, die sich besonders z. B. für Politik interessieren, so meine Vermutung, stoßen auf Hürden der männlich geprägten Kultur und Struktur, wodurch man die Unterrepräsentanz von Frauen in der Politik erklären kann.

Das lässt sich auch daran ablesen, dass immer mehr Frauen studieren und immer mehr Erzieher*innen in Kitas fehlen. Denn anstelle der Frauen, die sich gegen einen Care-Beruf entscheiden, rücken keine Männer nach, die sich den Vorurteilen, die mit dem Beruf des Erziehers verbunden sind, stellen wollen.

Ermutigung und Motivation für Männer, sich in Pflegeberufen zu verwirklichen, fehlt

So wird also das Problem der fehlenden Frauen (in unserem Fall) in der Politik bereits häufiger von Organisationen wie Frauen aufs Podium angegangen. Wir haben zum Beispiel im Sommer 2021 ein World Café veranstaltet. In diesem Format geht es darum, junge an Politik interessierte Frauen gemeinsam mit überparteilich etablierten Politikerinnen näher an die Thematik heranzuführen und zu politischem Engagement zu ermutigen.

Für Männer müsste es öffentlichkeitwirksam Programme geben, mit denen Männer für Pflegeberufe begeistert werden. Vorurteile müssen besiegt und die Berufe attraktiver gemacht werden.

Das beginnt vor allem mit der Bezahlung

Schließlich sind es Care-Berufe, die unsere Gesellschaft zu der sozialen Gemeinschaft zusammenfügen, die wir sind bzw. sein möchten. Gerade Kindergärtner*innen stehen in der großen Verantwortung, die zukünftigen Generationen zu erziehen und ihnen die Werte zu vermitteln, die das Fundament einer gerechten Gesellschaft bilden.

JederMANN kann stolz darauf sein, den sozialen Zusammenhalt unsere Gesellschaft zu stärken. Unsere Forderung kann also nur lauten:
„Frauen* Berufe“ besser bezahlen, entstigmatisieren und Männer motivieren!

Um zum Thema Bundesfreiwilligendienst zurück zu kommen, kann man schon in den ersten Jahren nach der Schule erkennen, was für unterschiedliche Berufswege Männer und Frauen einschlagen. Mehr Frauen entscheiden sich für einen Bundesfreiwilligendienst, weniger Männer werden sich in ihrem Leben / in ihrem Beruf sozial engagieren. Mehr Frauen machen einen Bundesfreiwilligendienst im Erziehungsbereich, weniger Männer ergreifen später den Beruf Erzieher. Das zeigt, die Sozialisierung von Männer und Frauen ist immer noch sehr divergent. Die Basis der Gleichstellung kann also nur eine geschlechtergerechte Erziehung sein.

Ein Text von Hannah Winkler.
Foto: ©Monkey Business/fotolia.com

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